Translated by Dorothea Richey
Trauma ist eine verheerende Erfahrung, mit der wir nicht umgehen können. Wir sind hilflos, überwältigt und verletzbar. Wir fühlen uns, als sei unsere Existenz bedroht: möglicherweise werden wir tatsächlich nicht überleben. Unsere psychologische Reaktion auf ein Trauma besteht darin unsere Psyche zu spalten, die unerträgliche emotionale Erfahrung von Schrecken, Hilflosigkeit, Vernichtung abzuspalten, so dass wir zumindest als Organismus überleben und unsere Existenz fortsetzen können. Wir existieren also weiter, unsere Psyche ist jedoch gespalten, und unsere Fähigkeit klar wahrzunehmen ist beeinträchtigt.
Das Resultat einer Spaltung durch Traumatisierung zeigt dieses Diagramm:
Wir müssen unser integriertes gesundes Ich aufgeben, um zu überleben. Diese erste Spaltung findet oft bereits zu Beginn unseres Lebens statt, vielleicht sogar im Mutterleib. Das traumatisierte Ich behält die Abspaltung und die eingefrorene Trauma-Erfahrung bei; das gesunde Ich ist noch da, wird aber gemanagt von unserem Überlebens-Ich. Das Überlebens-Ich - richtig ausgedrückt tatsächlich ein Trauma-Überlebens-Ich – entsteht, um die Spaltung aufrecht zu erhalten; um sicher zu stellen, dass das Trauma im Unbewussten bleibt. Während wir aufwachsen, als Kind, Jugendlicher und junger Erwachsener, entwickelt unser Überlebens-Ich immer raffiniertere und effizientere Strategien, um die Spaltungsstruktur zu erhalten, und um auf diese Weise unsere Fähigkeit eine gesunde Haltung einzunehmen jederzeit zu beeinflussen.
Nach einem traumatischen Erlebnis ist unsere Fähigkeit aus unserem gesunden Ich heraus zu funktionieren verändert. Aus unserem gesunden Ich heraus können wir agieren, solange wir uns sicher fühlen, aber wenn etwas geschieht, was ein Gefühl von Unsicherheit hervorruft, erscheint unser Überlebens-Ich auf dem Plan und übernimmt die Führung. Darüber haben wir keine Kontrolle; es ist ein unbewusster und reaktiver Prozess. Bis wir die Wahrnehmung unserer Überlebens-Strategien durch entschlossenes Fokussieren auf unsere Trauma-Heilung gestärkt haben, haben wir uns im Grunde nicht unter Kontrolle; tatsächlich sind wir nicht die, die wir wirklich sind, weil wir bei jeder Art von Bedrohung von diesen grundlegenden Überlebens-Instinkten überwältigt werden.
Die Erfahrung in unserem gesunden Ich zu sein und diese zu verstehen, wird uns ermöglichen zu erkennen, wenn wir es nicht sind.
Was bedeutet es, von meinem gesunden Ich aus zu funktionieren? Hier sind einige Antworten:
- Wir fühlen uns gut.
- Wir können leicht atmen.
- Wir können die Realität so wahrnehmen wie sie in der gegenwärtigen Situation tatsächlich ist.
- Wir fühlen uns gut geerdet und entspannt.
- Wenn wir etwas gefragt werden, können wir klar denken und angemessen antworten.
- Wir können uns klar ausdrücken.
- Wir können klare Emotionen fühlen, die der jeweiligen Situation entsprechen.
- Wir können klar beschreiben und definieren, was wir fühlen.
- Wir können gut mit einer anderen Person in Kontakt sein, ohne uns selbst zu verlieren.
- Wir fühlen uns für uns selbst verantwortlich.
- Wir fühlen uns unabhängig.
- Wir sind fähig zu Selbst-Reflexion, wir kennen uns selbst.
- Wir sind fähig zu moralischem und ethischem Denken und Verhalten.
- Wir sind interessiert an Wahrheit und Realität, so wie sie sind, ohne zu idealisieren oder zu fantasieren.
- Unser Verhalten entspricht der gegebenen Situation.
- Unsere Wünsche und Bedürfnisse sind gesund und bereichernd anstatt ungesund und selbstzerstörerisch.
- Unser Denken ist klar und wir können gute gesunde Entscheidungen treffen.
- Wir können gute Beziehungen herstellen.
- Wir können erkennen, wenn eine Beziehung ungesund oder nicht gut für uns ist, und sie ohne Scham oder Schuldgefühle lösen.
- Wir sind offen und stehen für Kontakt und Verbindung zur Verfügung.
- In intimen Situationen können wir präsent bleiben, ohne uns zu spalten.
- Auf aktuelle Ereignisse können wir viele verschiedene Emotionen fühlen und gesund reagieren.
- Gefühle von Schuld und/oder Scham sind gesund und passen zur gegebenen Situation.
- Wir haben ein gutes Erinnerungsvermögen bezüglich unserer Vergangenheit.
- Wir können präsent bleiben.
Dies ist nun eine wundervolle Liste von Dingen, zu deren Tun viele von uns gerne fähig wären, es aber nicht sind. Gleichzeitig haben viele von uns einen flüchtigen Eindruck dieser Dinge, das sind Momente, in denen wir Zugang haben zu unserem gesunden Ich. Für manche geschieht dies selten, für andere ist es leichter. Nichtsdestotrotz, wenn man einige dieser Dinge kennt, und sich an Augenblicke erinnern kann, in denen man ein oder zwei erlebt hat, so weiß man, dass es möglich ist, sich selbst als gesund zu erleben, im gesunden Ich zu existieren, ein gesundes Ich zu haben.
Aber wenn wir aus einer gespaltenen Psyche heraus agieren, ist dies nicht die ganze Geschichte. Etwas mag passieren, vielleicht ein winziges, fast unbemerkbares Detail, wir sehen es nicht, wir wissen nicht, dass es geschieht, und doch verlieren wir uns in diesem Moment. Unser Zugang zu unserem gesunden Ich ist verschwunden; wir reagieren nur, sind außer Kontrolle, verletzlich und angestrengt. Wenn das passiert, verlieren wir alle die guten Erfahrungen; unsere Wahrnehmung der Welt ist verzerrt, unwirklich und bedrohlich; auch unser Atem ist anders: er geschieht nicht so leicht, vielleicht fühlen wir uns atemlos und geraten in Panik. Oder es kann sein, dass wir dissoziieren (uns spalten), abschweifen, uns ablenken und abtauchen in Fernsehen, oder Arbeit, oder Drogen, oder Alkohol. Vielleicht haben wir sehr starke, unkontrollierte und unkontrollierbare Emotionen, wir könnten verbal oder physisch angreifen; wir tun oder sagen womöglich Dinge, die wir später bedauern; kurz gesagt: unser Überlebens-Ich hat die Führung übernommen, und das gesunde Ich kann sich nicht halten.
Das passiert, wenn unser Trauma getriggert wird; und das könnte, kaum bemerkbar, viele Male am Tag geschehen. Für manche mag es tatsächlich eine ziemlich regelmäßige Erfahrung sein, mit nur wenigen Momenten der Klarheit des gesunden Ich.
Bei Traumatisierung geht es um Abspaltungen, eingefrorene Emotionen; die Aufgabe des Überlebens-Ich ist es, diese abgrenzende Spaltung aufrecht zu erhalten. Im rauen und bewegten Alltag hat das gesunde Ich nicht wirklich die Führung, diese liegt beim Überlebens-Ich. Aus diesem Grund kommt für viele von uns, wenn wir uns der Arbeit an unserem Trauma nähern, der Moment, in dem wir erkennen, dass wir nicht wissen, wer wir sind. Das liegt daran, dass der Überlebensmodus uns schon so lange begleitet hat, wahrscheinlich sogar bereits vor unserer Geburt, dass wir denken, er ist, wer wir sind. Aber das ist er nicht. Tatsächlich ist das gesunde Ich, das ‘originale‘ Selbst, wer wir wirklich sind. Als traumatisierte Person - das ist momentan die Realität- bin ich selbstverständlich all das: die Trauma-Abspaltung, das Überleben und das Gesunde. Das ist, wer ich jetzt gerade bin; das ist jedoch nicht, wer ich sein kann, und es ist nicht mein wahres Ich.
Die Arbeit, die wir mit dem Anliegen-Satz machen, ist eine Erforschung, eine Begegnung mit dem Ich, die uns hilft zu lernen und unsere verschiedenen Anteile zu unterscheiden; unsere Geschichte zu verstehen und den Kontext, in dem wir entstanden sind, und wie wir gezwungen waren, unsere gesunde Integrität durch Traumatisierung aufzugeben. Mittels beharrlicher Erforschung beginnen wir, unsere Überlebensstrategien zu erkennen, wodurch wir unser gesundes Ich vergrößern und stärken, und wenn das gesunde Ich und seine Ressourcen stark und widerstandsfähig genug sind, können wir Schritt für Schritt unsere abgespaltenen traumatisierten Anteile wieder integrieren.
Write a comment
Eva-Maria Emmer (Wednesday, 26 January 2022 11:37)
Hallo, diese Beschreibung stimmt sehr mit meinem Erlebten überein, dass ich aufatmen kann, mich endlich verstanden fühle und es so erklärt bekomme, dass ich es verstehe, damit fast schon autonom bin. Ja, ich möchte mein gesundes Ich wieder mehr stärken, die anderen Teile liebevoll integrieren. Danke, es gibt mir Kraft.
Eva-Maria Emmer