Wer bin ich … wirklich? 19. September 2016
Wer bin ich … wirklich?
Gedanken über Identität und Identifikation
Zwischen dem Anerkennen einer Tatsache über uns selbst und dem Sich-mit-etwas-Identifizieren besteht ein Unterschied. Identifikation dient als Ersatz für Identität, es ist eine Trauma-Überlebensstrategie.
Eine Tatsache über mich selbst ist, dass ich in Großbritannien geboren wurde, also habe ich einen britischen Pass. Das bedeutet: ich bin britisch. Eine emotionale Identifikation damit britisch zu sein ist jedoch ein Weg meine Identität aufgrund eines Mangels an wahrer Identität auszulagern; dies geschieht nach früher Traumatisierung. Zu sagen, dass ich britisch bin, ist die eine Sache und auch eine Tatsache, derer ich mir bewusst sein kann. Aber mein Britisch-Sein als einen Ersatz für meine Identität zu benutzen, ist im Rahmen des Identitäts-therapeutischen Denkens eine psychologische Identifikation.
Bei einem Identitätstrauma spaltet sich meine Psyche und ich bin gezwungen, mich mit den Wünschen, Bedürfnissen, den ungelösten Traumata und Emotionen meiner Mutter zu identifizieren anstatt mit meinen eigenen. In dieser frühen traumatisierenden Situation ist es mir nicht möglich meine Identität intakt zu halten. Identitätstrauma bedeutet, dass ich von meiner Mutter nicht als ein von ihr getrenntes, einzigartiges Lebewesen gesehen und wertgeschätzt werde, als ein Subjekt mit eigenen Rechten, sondern als ein Objekt ohne wesentlichen Wert für sie; und um zu überleben muss ich meine eigenen Wünsche abspalten und mich stattdessen mit denen meiner Mutter identifizieren. Das ist die erste Identifikation und der Verlust der Identität.
Danach besteht für mich die Möglichkeit ein Gefühl für mich selbst zu haben einzig durch Identifikation. Ich lagere meine Identität buchstäblich an andere aus. Ich verlasse mich darauf, dass andere mir eine Identität spiegeln, doch das ist nicht meine wahre Identität. Es ist eine falsche (Überlebens)-Identität, die ich durch Identifikation gewinne.
Unbewusst ziehe ich Menschen an, die mir die Identität, von der ich denke, dass es meine ist, spiegeln, und auf diese Weise gerate ich in Situationen und Beziehungen, die ich kenne und die einander ähneln. Durch meine Identifikationen bin ich als Erwachsener ständig auf der Suche nach meinem Selbst, so wie meine Mutter es mir hätte spiegeln sollen, hätte sie mich als Individuum, als ein Subjekt gesehen. Doch da die einzige, mir bekannte Verbindung mit ihr in der Identifikation mit ihr und ihren Wünschen besteht, weiß ich nicht genau, wonach ich Ausschau halte. Und bis mir dies bewusst wird bin ich verloren in einem Kreislauf von unbefriedigenden, meist zerstörerischen Situationen und Beziehungen, die meine Lebensqualität schwächen. Mich zu identifizieren, zum Beispiel mit einem Fußballverein, gibt mir etwas, was mir aufgrund meiner mangelnden Identität fehlt. Es gibt mir ein Gefühl für mich selbst, ein Gefühl von Sicherheit und ein Gefühl von Verbindung, ein Gefühl von emotionalem genährt Sein. Tatsächlich von all dem, was ich verloren habe oder nicht mit meiner Mutter erlebt habe. Der Fußballverein ist dann eine Ersatzmutter.
Identifikation führt zu Gewalt und Zerstörung, denn wenn ich mich mit einer Sache identifiziere, lehne ich eine andere ab und diese wird zu meinem Feind. Um meine Identifikation als meine Ersatzidentität zu erhalten, muss ich alles bekämpfen, was sie bedroht. Und wenn eine andere Gruppe von Menschen, die sich mit ihrer Gruppe identifiziert haben, ihre Identifikation noch weiter stärken will gegen die Gruppe, mit der ich identifiziert bin, müssen meine Gruppe und ich dasselbe tun. Dann befinden wir uns im Kriegszustand.
Die Lösung
Die Lösung besteht darin, mich zu trauen meine innere Welt zu erforschen, meinen Mangel an Identität zuzugeben, mein Bedürfnis nach der Wertschätzung durch andere in Frage zu stellen und die Tatsache meiner Traumatisierung ernst zu nehmen. Das Identitätstrauma, das ich so früh erlitten habe, als ich gezwungen war mich aufzugeben, um ein wenig emotionalen und bestätigenden Kontakt mit meiner Mutter zu haben, veranlasst meine Psyche sich zu spalten und mein Überleben hängt dann davon ab, dass ich meine Identität zugunsten einer Identifikation mit ihr aufgebe.
Mich selbst zurück zu fordern, zu wissen, wer ich wirklich bin, setzt voraus, dass ich meinen traumatisierten Anteil anschaue. Meine tatsächliche Identität fordert, dass ich meine abgespaltenen Anteile integriere und zum ersten Mal entdecke, wer ich wirklich bin. Nicht aufgrund der Spiegelungen durch andere zu überleben, sondern losgelöst von deren Wahrnehmungen meiner Person, und indem ich die Illusionen von Identifikation aufgebe. Nur aus einer integrierten Identität heraus, komme ich in einen wirklichen und wahrhaftigen Kontakt mit mir selbst, mit meinem Trauma und mit meinem tatsächlichen gesunden Ich. Dann kann ich die Realität erkennen und mit der Realität von anderen in Kontakt gehen.
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